Freitag, 6. April 2012

Allgemeines zum Ansatz

Man stelle sich einen Raum vor, in dem etwa ein Dutzend Europäer* mit jeweils unterschiedlichen Muttersprachen sitzen und von denen zudem die meisten eine Zweitsprache beherrschen, z. B. der Baske Baskisch und Spanisch, der Waliser Walisisch und Englisch, der Sorbe Sorbisch und Deutsch, der ungarische Zigeuner Romanés und Ungarisch, der Ukrainer Ukrainisch und Russisch, der Lappe Lappisch und Finnisch usw. Diesen Leuten legt man nun einen Text in einer ihnen unbekannten Sprache vor und bittet sie, ihn anhand der Sprachkenntnisse, über die sie gemeinsam verfügen, zu übersetzen. Es wird dazu nichts erklärt; weder Vokabeln noch Grammatikregeln oder Morpheme, nicht einmal Aussprache und Betonung. Sie müssen also Wort für Wort und Satzteil für Satzteil erschließen und können bestenfalls ahnen, ob sie auf der richtigen Spur sind. Dabei kann jeder auch nur diejenigen Textteile erkennen, deren Quellsprache er versteht. Wer aus seiner Muttersprache irgendetwas wiedererkennt, meldet sich.

Allmählich entstünde folgendes Bild: Wörter, die auf -i enden, werden auffallend oft von dem Sorben oder dem Ukrainer erkannt und als Eigenschaftswörter aus slawischen Sprachen identifiziert. Zu den auf -n oder -d endenden Vokabeln weiß meist der Friese oder Schwede etwas zu sagen, weil sie darin Verben ihrer Muttersprachen zu erkennen glauben, und vielleicht vermuten sie auch schon, dass die auf -n endenden in der Gegenwarts- und die auf -d ausgehenden in der Vergangenheitsform stehen. Bei denjenigen Wörtern, die auf einen Selbstlaut (außer i) oder -s ausgehen, melden sich der Spanier oder Italiener, zwischendurch auch mal der Grieche, weil sie darin ein Hauptwort aus ihrer Sprache erkennen. Immer dann, wenn sie alle nicht mehr weiterwissen, springt der Lappe oder Zigeuner ein, und das gesuchte Wort ist dann ein Umstands- oder Bindewort. Schließlich strahlt sogar der Waliser, weil er die Vokabel kuino (= 'Beschwerde') aus seiner Muttersprache kennt. Am Ende ist der Text vollständig übersetzt, die meisten grammatischen Morpheme wurden in ihrer Funktion erkannt, und bei der Aussprache hat man sich ebenfalls geeinigt. Andererseits wurde deutlich, dass keiner der Anwesenden imstande gewesen wäre, für sich allein den Sinn des Textes zu erfassen, geschweige denn ihn zu übersetzen. Seine Analyse und die Übersetzung waren eine gesamteuropäische Gemeinschaftsleistung; und alle waren, um die Aufgabe bewältigen zu können, darauf angewiesen, sich untereinander auszutauschen und wurden dabei mit Sprachsystemen konfrontiert, mit denen sie sich nie zuvor beschäftigt hatten.

Genau das ist der Ansatz beim Kweda. Die Sprache erhebt gar nicht den Anspruch, für alle Gebildeten des Erdkreises auf Anhieb verständlich zu sein, wie man es von denjenigen Plansprachen gewohnt ist, deren Wortschatz überwiegend auf romanischem Sprachmaterial fußt. Die meisten „klassischen” Plansprachen – so möchte ich die zwischen 1868 (Universalglot) und 1951 (Interlingua) erschienenen bezeichnen – sind romanozentrisch aufgebaut, was die Sprecher romanischer Sprachen bevorzugt und deshalb dem Gedanken einer wahrhaft neutralen Sprache zuwiderläuft. 

Sollte sich hingegen jemand mit Kweda beschäftigen, wird er gar nicht umhin können, sich auch einige Wörter und grammatische Morpheme etwa aus slawischen, nordgermanischen oder finnougrischen Sprachen anzueignen. Gerade in diesen Zeiten, in denen so viel von Multikulturalität und interkulturellem Austausch die Rede ist und die Europäische Union das Erlernen von mindestens zwei Fremdsprachen propagiert, sehe ich diesen Wesenszug des Kweda eher als Bereicherung denn als Bürde; und zu diesem Reichtum tragen alle europäischen Sprachen bei, unabhängig von der Größe ihrer Sprachgemeinschaften oder deren politischem, wirtschaftlichem und kulturellem Stellenwert. Kweda soll sozusagen eine Sprache sein, die Europäer zusammenführt, und zwar in einem Geiste der Gleichberechtigung und der gegenseitigen Achtung; und dieser Geist ist dem Heute verhaftet, nicht den kulturellen und politischen Leistungen der Römer und der romanischen Völker in der Vergangenheit. 

* Es sollte zwar dort, wo der gesunde Menschenverstand waltet, keiner besonderen Erwähnung bedürfen, aber in diesen Zeiten der politischen Korrektheit sei ausdrücklich darauf hingewiesen: Natürlich könnte hier auch überall ein "-innen" bzw. "sie" stehen. 

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